Der Abschied der Linken von der sozialen Frage

Der Nationalismus wird die Schutzmacht der „kleinen Leute“

Deutschland diskutiert mal wieder: einerseits über den politischen wie alltagskulturellen Vormarsch des Nationalismus, andererseits über den wirtschaftlichen Abstieg immer größerer Bevölkerungskreise und deren Ausschluß von Arbeit, Lebenssicherheit und Bildung. Manch einer stellt auch die bange Frage, ob die Nationalisierung des Denkens eine Reaktion auf die Entsozialisierung des Systems ist? Ja, natürlich ist sie das. Nationalismus ist eine äußerst moderne Verteidigungshaltung gegen die Zumutungen der Globalisierung, die die Menschen systematisch verarmt, verohnmachtet und entheimatet.

Eine wichtige Erfolgsbedingung des Nationalismus bleibt bei allen Diskussionen aber seltsam unbelichtet und das, obwohl sich die Linke – die es betrifft – doch soviel auf ihre kritischen Gesellschaftsanalysen einbildet. In Wahlkämpfen hat die Linke zwar noch die bekannte Sozialrhetorik im Repertoire, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß sie soziale Frage de facto aufgegeben hat. Mit der Nicht-Stellung der sozialen Frage stellt sie sich aber selbst in Frage. Die zur Systemstütze gewordene Linke gibt noch Antworten, aber nicht mehr auf die soziale Frage des deutschen Volkes. Antworten vermag sie nur noch auf die Randgruppenfrage zu geben: Was kann für Ausländer, Homosexuelle, Kiffer und Antifaschisten getan werden? Die sozialen Interessen der Deutschen kommen in der Gedankenwelt von SPD und Grünen, WASG und PDS nicht mehr vor. Die soziale Frage, an der sich die Linke historisch abarbeitete und die für sie einmal identitätsstiftend war, wird heute zugunsten eines inhaltsleeren Machtopportunismus und eines manischen Minderheitenkultes fallengelassen.

Damit räumt die Linke das Themenfeld, auf dem die politischen Schlachten der Zukunft geschlagen werden. Mit Plakatlosungen wie „Arbeit, Familie, Heimat“ und der Frontstellung gegen Zuwanderung, EU-Fremdbestimmung und Globalisierung trifft die NPD bereits jetzt den Nerv der Menschen. Begünstigt durch die linke Preisgabe der sozialen Frage werden Nationalisten zukünftig noch leichter die Position des Antikapitalismus aus den Traditionsbeständen der Linken herausbrechen und mit nationalen Inhalten aufladen können. Die Nationalisierung der sozialen Frage und die Vision eines solidarischen Volksstaates, in dem die soziale Teilhaberschaft eines jeden Deutschen garantiert ist, wird dem Nationalismus soviel Zulauf bescheren, daß die morschen Knochen der Volks- und Vaterlandsabwickler noch gehörig zittern werden. Die Ethnisierung des Sozialen (wir Deutschen oder die Fremden) ist eine Aktualisierung und sozialpolitische Durchformung von Carl Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung als Essenz des Politischen – und eben auch als Essenz des Sozialstaatsprinzips. In diesem Sinne lauten die Gegensatzpaare: Sozialstaat oder Einwanderungsstaat, solidarische Wir-Gemeinschaft oder materialistische Ich-Gesellschaft, staatszentrierter Nationalverband oder marktzentrierte Weltzivilisation. Es dürfte klar sein, wofür sich die meisten Deutschen als Abwehrreaktion gegen die Wohlstands-, Wert- und Gemeinschaftserosion in naher Zukunft entscheiden werden.

Der Politikwissenschaftler Richard Stöss stellt deshalb fest: „Da sich moderne Industriegesellschaften in atemberaubender Geschwindigkeit wandeln, erzeugen sie in Teilbereichen ständig Unzufriedenheit, Statusbedrohungen und relative Deprivation. Indem Globalisierung die Entgrenzung der Welt, Migration, die Auflösung der Nationalstaaten und den Werteverfall beschleunigt, bietet sie optimale Gelegenheitsstrukturen für rechtsextreme Bewegungen, Subkulturen und Organisationen und begünstigt die Verbreitung von rechtsextremen Einstellungen und individuellen Präferenzen für rechtsextreme Parteien. Der zeitgenössische europäische Rechtsextremismus lässt sich auch als wertgebundene Rebellion der Modernisierungsverlierer und Privilegienverteidiger gegen die Globalisierung bezeichnen.“

Die aktuelle Auseinandersetzung um die sozialen Frage hat sich an einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Studie entzündet. Danach bilden acht Prozent der Bundesbürger (insgesamt 6,5 Millionen) eine neue gesellschaftliche Unterschicht, die keinerlei Perspektive mehr auf Arbeit, Bildung und Zukunft in der globalistischen Wolfsgesellschaft hat. Diesem „abgehängten Prekariat“ – ein soziologischer Neubegriff aus „prekär“ und „Proletariat“ – gehören in Westdeutschland vier Prozent der Menschen an, in Mitteldeutschland sogar 25 Prozent.

Aufgestoßen wurde das Schreckenstor der Massenverarmung zweifellos durch Hartz IV als Kernelement der „Agenda 2010“, die angelehnt ist an die „Europäische Agenda 2010“, mit der die Globalisten durch einen rabiaten Sozialabbau Europa bis 2010 zum „dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt“ machen wollen. Ausgerechnet eine SPD-Bundesregierung hat diesen K.O.-Schlag gegen die Arbeitslosen eiskalt ins Werk gesetzt, obwohl klar war, daß mit dieser „Arbeitsmarktreform“ kein einziger Arbeitsplatz geschaffen und es nur um die finanzielle Enteignung der Betroffenen gehen würde. Für Hunderttausende Deutsche ist Hartz IV zum Fluch geworden und für Millionen zum Damoklesschwert, das jederzeit auch sie treffen kann, weil es im Globalisierungszeitalter keine Arbeitsplatzsicherheit mehr gibt. Die „Süddeutsche Zeitung“ kommentierte: „Es gibt eine Rutsche in die Armut, genannt Hartz IV, und es gibt eine gewaltige Angst davor, daß man sich auf einmal selbst darauf befinden könnte.“

Während die SPD die soziale Frage nicht bloß unbeantwortet läßt, sondern regelrecht suspendiert, konnte die PDS mit massenmedialer Hilfe bislang den Eindruck erwecken, als hüte sie die soziale Frage wie einst die Nibelungen ihren Hort. So spielte sie ihre Rolle als Auffangformation für frustrierte SPD-Wähler und Magnet für allerlei Protestwähler voll aus, um den Volkszorn systemkonform zu kanalisieren und seine Wendung nach rechts zu verhindern.

Nach den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern scheint sie diese systemstabilisierende Funktion aber nur noch eingeschränkt zu erfüllen. Bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin büßte die PDS 180.000 Stimmen ein und halbierte damit ihren Stimmanteil, und im Nordosten wendeten sich 22.000 Wähler von ihr ab. In beiden Bundesländern regierten die PDS-Genossen mit, fraßen sich an den Futtertrögen des Systems fett und trugen jede sozialpolitische Schweinerei widerstandslos mit. Nirgendwo sonst scheint sich die Kontinuität von SED, PDS und Linkspartei deutlicher zu zeigen, als in ihrem Charakter als disziplinierte Machtpartei überzeugungsloser Apparatschicks, für die Regieren alles und das Volkswohl nichts ist. Deswegen beschloß die Berliner Linkspartei – trotz eines Stimmenverlustes von über neun Prozent – mit überwältigender Mehrheit die Fortsetzung der rot-dunkelroten Sozialraub-Regierung. Daß sich bei den Sondierungsgesprächen selbst die Grünen noch teurer verkauften als die SED-Erben und Klaus Wowereit deshalb letztere als Polit-Dirnen in sein rosarotes Koalitionsbett springen läßt, zeigt, wie es um die Stellung der sozialen Frage in der Linkspartei bestellt ist. Sie ist Fassade, Köder und Parolenstoff, aber kein politischer Auftrag.

Die Entlarvung der Linkspartei als waschechter Systempartei sorgt bei der systemkritischen Restlinken für ein letztes Aufflackern früherer Proletarierwut. So veröffentlichte Werner Pirker in der „Jungen Welt“ Zeilen, die silbengenau auch in der „Deutschen Stimme“ stehen könnten. O-Ton: „Die Linkspartei/PDS ist eine Systempartei besonderen Typs. Als wäre sie von den herrschenden Kreisen erfunden worden. Ihre Aufgabe bestand darin, die Ostdeutschen auf dem Weg in die kapitalistische Marktwirtschaft fürsorglich zu begleiten. (…) Der Gebrauchswert der Linkspartei für das System sinkt jedoch mit dem Schwinden ihrer sozialen Anziehungskraft auf die Massen.“

Ein Dieter Elken spricht der WASG in einem Beitrag der „Linken Zeitung“ die Systemfunktion zu, den Kapitalismus – garniert mit pseudosozialem Wortgeklingel – besonders gut zu verwalten: „Mit Lafontaine und Klaus Ernst an der Spitze übt sie sich im Bundestag in scheinradikaler Rhetorik und unterstützt zugleich in den Ländern den in der Linkspartei alles beherrschenden PDS-Apparat. Dieser aber will sich auf radikale Rhetorik nicht mehr einlassen. Seine Sprachrohe sind entschlossen, sich ohne Wenn und Aber ins kapitalistische Räderwerk einzugliedern. Wie die SPD-Bürokraten glauben sie, daß sie den Kapitalismus besser verwalten können als die Kapitalisten.“

Auch in Mecklenburg-Vorpommern hätte sich die vom Wähler abgestrafte Linkspartei gerne an der Regierung gehalten. Weil die SPD aber 150.000 Wähler einbüßte und eine rot-dunkelrote Regierung nur eine hauchdünne Mehrheit im Landtag hätte, wird im strukturarmen Nordosten nun eine Große Koalition das Rotstift-Regiment führen. Die Linkspartei ist aber machtopportunistisch genug, sich blitzschnell und hocheffektiv von einer antisozialen Regierungs- zu einer pseudosozialen Oppositionspartei zurückzuverwandeln und damit wiederum eine systemdienliche Rolle zu spielen. Im Wochenblatt „Die Zeit“ hieß es dementsprechend: „Ob zynisch oder realistisch betrachtet, ist es dort (in Mecklenburg-Vorpommern) geradezu von Vorteil, daß die Linkspartei nun wieder in der Opposition steht. Das ist allemal besser, als die Rolle des Sozialprotestes allein der NPD zu überlassen.“

SPD, Grüne, WASG und Linkspartei haben dem Nationalismus das Feld der sozialen Frage aber schon längst überlassen – aus Saturiertheit, Machtbesessenheit und Überzeugung. Die Linkspartei buhlt zwar noch um die Stimmen sozial benachteiligter Deutscher – SPD und Grüne versuchen dies mit ihrer Ranschmeißerei an ein besserverdienendes Großstadtbürgertum nicht einmal mehr –, hat zu deren Problemen, Hoffnungen und Ängsten aber gar keinen inneren Zugang. Deutsche Hartz-IV-Empfänger, Niedriglöhner, Auszubildende und Frührentner sind für die Linkspartei nichts als Stimmvieh. Und weil diese Menschen ihre eigene Benachteiligung bei gleichzeitiger Verhätschelung fremder Sozialschmarotzer erleben und deshalb zurecht „fremdenfeindlich“ sind, sieht die Linke sie mit einer Mischung aus Mißtrauen und Verachtung.

Die Linke kann für die Deutschen überhaupt keine soziale Politik betreiben, weil sie ihr historisch angeblich schuldig gewordenes Volk haßt, weil sie den sozialen Schutzraum des Nationalstaates für überlebt hält, weil sie nichts wissen will von der solidaritätsspendenden und gemeinschaftsstiftenden Kraft des Volkstums. Für wen es nur noch abstrakt „Menschen“, aber keine Deutschen mehr gibt, den kann es auch nicht empören, wenn er in westdeutschen Großstädten verarmte deutsche Rentner in Mülleimern nach Pfandflaschen angeln sieht, während hinter ihnen staatsalimentierte orientalische Großfamilien oder arrogante Wohlstandsneger daherstolzieren. Für wen das alles nur unterschiedslos „Menschen“ sind, der vermag das schreiende Unrecht dieser Alltagsszene der Bunten Republik Deutschland nicht zu erkennen.

Diese Gleichgültigkeit gegenüber deutscher Not findet sich in zugespitzter Form bei der „emanzipatorischen Linke“, deren Vorturnerinnen die PDS-Bundestagsabgeordnete Katja Kipping sowie die PDS-Landtagsabgeordneten Caren Lay und Julia Bonk sind. Thesenpapiere dieser polit-hedonistischen Clique heißen „Freiheit und Sozialismus – Let’s make it real“ und Konferenzen firmieren unter der Losung „Freiheit und Sozialismus – Come Together“. Diese „Emanzipationslinken“ meinen damit den Kampf um die schrankenlose Selbstverwirklichung des postnationalen Konsumbürgers gegen jede Form staatlicher, kultureller oder volksgemeinschaftlicher „Bevormundung“. Ganz bewußt haben sie sich andere Subjekte ihrer Zuneigung gesucht als notleidende und abstiegsbedrohte Landsleute. Ihre restrevolutionären Hoffnungen projizieren sie vielmehr in vermeintlich unterdrückte Minderheiten wie Ausländer, Homosexuelle, Kiffer und Antifaschisten.

Eine solche Linke kann gar keine Verfechterin des Sozialstaates sein, weil sie seine zwingenden wirtschaftlichen und ideellen Voraussetzungen ignoriert. Ein Sozialstaat muß den Kreis seiner Teilhabeberechtigten strikt begrenzen und braucht Zusammengehörigkeitsgefühle, ohne die es keinen Umverteilungskonsens gibt. Die Kardinalfrage „Wer gehört dazu und wer nicht?“ kann nur national beantwortet werden. Ohne die Teilnahmebeschränkung auf Volksangehörige und ohne ihre nationalen Loyalitäts- und Solidaritätsgefühle ist kein Sozialstaat existenzfähig. In einer Zeit immer knapper werdender Sozialressourcen muß man sich zwischen Sozialstaat und Einwanderungsstaat entscheiden – einen Mittelweg gibt es nicht. Der Sozialstaat wird volksgemeinschaftlich organisiert sein oder er wird gar nicht sein!

Die Linke fühlt sie sich Ausländern aber wesentlich stärker verpflichtet als ihren deklassierten Landsleuten. Ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Lebens- und Leidensbedingungen der Globalisierungsopfer reißt eine immense Vertretungslücke auf, die von der nationalen Opposition mit immer größerem Erfolg geschlossen wird. Der Nationalismus profitiert von einer Einsicht, die sich bei immer mehr Menschen einstellt: daß die Volksgemeinschaft die einzige Schutz- und Solidargemeinschaft im Zeitalter eines global entfesselten Kapitalismus ist und der interventionsfähige Nationalstaat das einzige Machtinstrument, um die Wirtschaft wieder in den Dienst des Volkes zu zwingen. Im Kommunistischen Manifest hieß es in internationalistischer Verblendung: „Die Arbeiter haben kein Vaterland.“ Doch, gerade die kleinen Leute haben ein Vaterland und brauchen ein Vaterland als emotional unterfütterten Schutzraum, der Auskommen und Sicherheit, Zugehörigkeit und Gerechtigkeit verbürgt.

Während die Linken als pseudosoziale Reparaturarbeiter des Systems die Kapitalherrschaft noch absichern, strömt in der nationalen Opposition die alte antikapitalistische Sehnsucht des deutschen Volkes zusammen. Die eiserne Wirtschaftsmaxime des Nationalismus lautet: Das Kapital hat der Wirtschaft und die Wirtschaft dem Volk zu dienen und nicht umgekehrt. Moderner Nationalismus ist deshalb gelebter Solidarismus.

Jürgen Gansel, MdL

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